Zur Phänomenologie von Masse und Gruppe

In diesem Aufsatz wollen wir zunächst 3 Aspekte des Phänomens Masse untersuchen.

  1. das Phänomen des Führers,
  2. das Phänomen der von ihm geführten Masse, welche bereitwillig eine beliebige Angelegenheit sich zueigen macht und einen beliebigen Wert verabsolutiert und
  3. das Phänomen des Massenerlebens („Teil eines höheren Ganzen sein“).

Anschließend werden wir dieselben Aspekte am Phänomen Gruppe analysieren. In dieser Gegenüberstellung werden die Unterschiede von Masse und Gruppe deutlich hervortreten.

  1. das Phänomen des Leiters der Gruppe,
  2. das Phänomen der Erstarrung von Werten durch das Überhandnehmen bestimmter einheitlicher „zwischenmenschlicher“ Gefühle innerhalb der Gruppe und
  3. das Phänomen des Gruppenerlebens („besonderer Teil eines höheren Ganzen sein“).

Wir können grundsätzlich 3 verschiedene Arten der Beziehung eines Menschen zu den anderen Menschen unterscheiden:

  1. Die Beziehung einer Einzelperson zu einer anderen Einzelperson
  2. Die Beziehung einer Einzelperson zu den anderen Menschen in der Gruppe
  3. Die Beziehung einer Einzelperson zu den anderen Menschen in der Masse

Die Beziehung eines Menschen zu einem anderen ist durch die zwischenmenschlichen Emotionen, die er in Bezug auf den Anderen erlebt, gekennzeichnet.

Gefühle:

Aus meiner Sicht gibt es in etwa 20 verschiedene Gefühlskategorien, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Natürlich aber können in einer bestimmten Situation mehrere Gefühle zugleich vorkommen. Dabei können wir Gefühle in Bezug auf Sachen, Angelegenheiten und Vorkommnisse einerseits und einen oder mehrere andere Menschen andererseits unterscheiden. Selbstverständlich treten Gefühle in Bezug auf Angelegenheiten immer auch in der Interaktion mit anderen Menschen auf. Umgekehrt gibt es keine Situation im Leben eines Menschen, in der nicht in irgendeiner Weise andere Menschen eine Rolle spielen. Sogar wenn ich das Leben eines Einsiedlers führe, sind immer auch „andere Menschen da“, sei es dass ich sie vermisse, sei es, dass sie mir gleichgültig sind, sei es, dass ich gut ohne sie zurecht komme – um nur einige Beispiele zu nennen.
Hier die Liste der Gefühlskategorien:

Uns interessieren hier nicht so sehr Gefühle, die mehrere Menschen einbeziehen, wie Eifersucht, Scham oder Stolz sondern vor allem jene, die in Bezug auf einen einzelnen anderen Menschen auftreten. Das sind: Liebe, Traurigkeit, Hass, Neid, Schuldgefühl, Ungerührtheit.

Der Mensch und ein einzelner anderer Mensch:

In Begegnung mit einem einzelnen Menschen ist die Beziehung zu ihm stets durch diese Gefühle, die ihn direkt als menschliches Wesen betreffen, geregelt.

Der Mensch und eine Gruppe:

In einer Gruppe ist die Beziehung des Einzelnen zu jedem einzelnen Gruppenmitglied durch obgenannte Gefühle geregelt. Da ab einer gewissen Anzahl von Mitgliedern eine individuelle Beziehung zu jedem Einzelnen nicht mehr möglich ist, kann es eine Gruppe nur bis zu einer bestimmten Größe geben.
Der Gruppenleiter – wie auch jedes andere Gruppenmitglied - steht in persönlichem gefühlsmäßigen Kontakt zu allen Gruppenmitgliedern, wobei sich die Art des Kontakts zu jeder einzelnen Person von der Art des Kontakts zu allen anderen Personen unterscheidet.

Der Mensch und die Masse:

Sobald eine Ansammlung von Menschen eine gewisse Größe überschreitet, sind persönliche Beziehungen zu allen Mitgliedern nicht mehr möglich. Die Gruppe, welche durch individuelle Beziehungen gekennzeichnet war, wird zur Masse, in welcher die persönlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Individuen verloren gehen. Gefühle wie Liebe, Traurigkeit, Schuldgefühl, Neid etc. lösen sich von direkt begegnenden lebenden Menschen ab und werden auf imaginierte Menschen, der „Menschenmasse“, projiziert. [Beispiel: Ein Popstar auf der Bühne ruft dem Publikum zu: „Ich liebe euch alle.“) Gefühle, welche Angelegenheiten betreffen, treten in den Vordergrund (Freude, Gelassenheit, Angst, Gier, Hoffnung, Wut, Ekel, Niedergeschlagenheit, Zweifel, Gleichgültigkeit, Staunen).

Masse:

(1) Masse und Führer:

Der Führer einer Masse verliert die gefühlsmäßige Bindung an den Einzelnen, die er als Leiter in der Gruppe definitionsgemäß hatte. Stattdessen steht er einer einheitlichen Menschenmasse gegenüber, auf die er seine „zwischenmenschlichen Gefühle“ projiziert. Eine Menschenmasse ist aber etwas ganz anderes als ein einzelner Mensch. Zu dieser ist kein persönlicher Kontakt möglich. Der Führer behandelt diese massenhafte Ansammlung von Einzelmenschen nun wie eine Sache, er verwendet sie als eine Angelegenheit. Typischerweise tritt irgendein Wert bzw. Wertesystem (Weltanschauung etc.) in den Vordergrund, dem die Sache „Menschenmasse“ untergeordnet wird. Der Führer dient diesem Wert(esystem).
Führer werden einsam, da ihnen – in der Rolle des Führers - die unmittelbare persönliche Beziehung von Mensch zu Mensch abhanden kommt. Sie gieren nach „Freude“ und „Ekstase“, da „Liebe“ dem Führer nicht zukommt.
Führer sind Politiker, Priester, Stars auf den verschiedensten Bühnen, Vortragende im Hörsaal.

(2) Masse, Angelegenheiten, Werte und Beziehungen:

Einleitend einige Beispiele dafür, was im Folgenden mit den Begriffen Masse, Angelegenheiten und Werte gemeint ist:

  1. Masse: die Grünen, Angelegenheit: Kampf gegen Atomkraftwerke, Wert: Schutz der Umwelt.
  2. Masse: die Kommunisten, Angelegenheit: Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, Wert: Gleichheit.
  3. Masse: die Kapitalisten, Angelegenheit: Kapitalistische Marktwirtschaft, Wert: Individuelle Freiheit.

Beziehungen zu Menschen relativieren Werte. Das heißt nicht, dass sie Werte beliebig oder unwichtig werden lassen. Im Gegenteil: Werte werden in Relation zum (d.h. in Beziehung zum) jeweiligen Menschen gesehen. Werte dienen diesen Beziehungen zu anderen Menschen. Meine Werte werden durch das Feedback des jeweiligen Menschen, der mir in einer bestimmten Situation begegnet, korrigiert. So ändert sich mein Wertesystem ständig. Die Beziehung zum Anderen und den Anderen macht es flexibel und verhindert seine Erstarrung und Verabsolutierung. Da Menschen verschieden voneinander sind, erweitern Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen das eigene Wertesystem.
Angelegenheiten, auf welche die „sachbezogenen“ Gefühle gerichtet sind, relativieren sich auch in Bezug auf ihre zwischenmenschlichen Aspekte. Zugleich relativieren sich auch die „sachbezogenen“ Gefühle selbst. (Freude als Ausdruck von Liebe, Wut als Ausdruck von Trauer, Angst als Ausdruck von Hass, aber auch Angst als Ausdruck von Liebe, Wut als Ausdruck von Schuldgefühl etc.)
In der Beziehung zwischen Einzelindividuen regeln, d.h. regulieren so die „zwischenmenschlichen“ Gefühle die verschiedenen Angelegenheiten. Genauso ist dies in Gruppen. Innerhalb der Gruppe unterscheiden sich die einzelnen Individuen und die jeweiligen Beziehungen zueinander. Typischerweise verändern sie sich auch ständig. So kann sich ein „relatives“, d.h. „beziehungsgemäßes“ flexibles Wertesystem herausbilden, welches ein großes Veränderungs- und Entwicklungspotential in sich trägt. In der Masse jedoch erfolgt eine Entkoppelung des Wertesystems vom begegnenden Menschen. Die „gefühlsmäßigen“ Beziehungen zwischen den einzelnen Individuen gehen verloren. Der Einzelne verliert seine Einzigartigkeit und geht in der Anonymität der Masse auf. Er wird gleichgeschaltet, geht mit den anderen konform, er wird für die anderen zu einem austauschbaren Objekt. Dabei verliert sein Wertesystem die Relativität zum ihm begegnenden Mitmenschen, was ja die Begegnung zwischen Einzelindividuen und Begegnungen in der Gruppe auszeichnet. Ein beliebiger, nunmehr vom „Zwischenmenschlichen“ abgekoppelter Wert, der „in der Gegend herumliegt“ gewinnt Oberhand. Eine beliebige „ irgendwo in der Gegend herumliegende“ Angelegenheit, die aber ihren Bezug zum begegnenden Mitmenschen verloren hat, wird mit diesem Wert behaftet. Bereitwillig, da ja die Zügelung und Relativierung durch das Feedback der Mitmenschen fehlt, wird diese beliebige mit einem beliebigen Wert behaftete Angelegenheit verabsolutiert und ihr alles untergeordnet. Andere Angelegenheiten und andere Werte verlieren an Bedeutung. Es ist aber weitgehend dem Zufall überlassen, welche Angelegenheit und welcher Wert verabsolutiert werden. Allerdings kommt es zu keiner anhaltenden Verfolgung der Angelegenheit. Ebenso rasch wie sie diese ergriffen hat, lässt die Masse auch wieder von ihr, um sich einer neuen Sache zuzuwenden. Genauso wie sie in der einen Angelegenheit vom Wert, den sie dieser zuordnete, überzeugt war, schätzt sie jetzt den Wert hoch, welchen sie mit der Angelegenheit verbunden sieht, von der sie im Moment fasziniert ist – auch wenn er im Widerspruch zum ersteren steht.
Da die unmittelbare persönliche Beziehung von Mensch zu Mensch abhanden gekommen ist, ist der Einzelne in der Masse bis zum Zeitpunkt, wo er sich dieser zugehörig fühlen kann, einsam. Diese Zugehörigkeit in der Masse hat aber nicht mehr den Charakter der persönlichen Beziehung(en) sondern vollzieht sich über die Gleichschaltung in Bezug auf die Werte und Angelegenheiten („Wir denken alle dasselbe und haben alle dieselben Ziele.“).
Der Massenmensch ordnet seine persönlichen Beziehungen seinem Wertesystem und den Angelegenheiten, die er verfolgt, unter.
Beispiele: Ein Psychoanalytiker schätzt die Verhaltenstherapeuten gering. Ein Linker verachtet die Rechten und umgekehrt. Ein Heterosexueller spottet über die Homosexuellen. Ein Europäer lacht über die Amerikaner. Ein „fundamentalistischer“ Muslim hasst die Juden, wie ein „fundamentalistischer“ Jude möglicherweise die Muslime hasst.
Das eindrücklichste Beispiel für die Entkoppelung der sachbezogenen Gefühle von den Gefühlen in Bezug auf Menschen in der Masse ist der Krieg. Männer die zuvor ganz gewöhnliche liebende Ehemänner waren, werden als Soldaten im Krieg zu wilden Bestien, die „massenhaft“ Frauen vergewaltigen. Nach dem Krieg sind sie wieder die liebenden, treuen und zuvorkommenden Ehegatten und Väter. Im gewöhnlichen Alltag, in welchem wir typischerweise in Gruppen (z. B. Familie) eingegliedert sind, wird sexuelles Verlangen („Gier“) durch die persönliche Beziehung zum jeweiligen Anderen („Liebe“) gebunden und gezügelt. In der „Anonymität“ der Masse jedoch gibt es keine persönliche Begegnung und die zwischenmenschlichen Bindungen sind daher aufgelöst. „Gier“ ist von „Liebe“ entkoppelt und wird „zügellos“ ausgelebt.

(3) Masse und „Teil eines höheren Ganzen“:

Warum ordnet sich der Mensch gerne einem System unter? Warum geht er so sehr in der Masse auf? Irgendwie ahnt er, dass er Teil eines höheren Ganzen ist. Dieses „Teil eines höheren Ganzen zu sein“ wird im mystischen Erleben (aber auch im psychotischen Erleben) erfahren. Im Aufgehen in der Masse wird dieses „Teil eines höheren Ganzen sein“ ebenfalls - oft sogar mit großer Vehemenz - verspürt. Allerdings ist das Massenerleben immer nur das Erfahren einer unvollständigen Ganzheit, da ja eine Angelegenheit und ein Wert verabsolutiert, und alle anderen Werte und Angelegenheiten abgespalten und verachtet werden. So ist das Erleben eines sich entwickelnden umfassenden relativen Wertesystems, in welchem alle Werte die ihnen jeweils zukommende Bedeutung erlangen, nicht möglich. Auch ist in der Masse keine unmittelbare persönliche Beziehung zu anderen Menschen möglich. Damit werden diese nicht als einzigartige Individuen, die sie ja alle in Wahrheit sind, in das „Ganze“ einbezogen. Nicht zuletzt ist im Massenerleben auch die eigene individuelle Beziehung zu dem Mitmenschen abgespalten und nicht mehr erfahrbar.

Anmerkung: Selbstverständlich gibt es in einer Masse Beziehungen zwischen einzelnen Menschen mit all den typischen Charakteristika von Beziehungen zwischen Einzelpersonen. Diese Beziehungen haben dann aber definitionsgemäß nicht „Massen“-charakter. Ebenso gibt es innerhalb einer Masse Gruppenbildungen mit typischen Gruppenbeziehungen. Auch hier gilt dasselbe: In diesen Gruppen weisen die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen nicht den Charakter der Masse, sondern eben den der Gruppe auf.

Gruppe:

Der Gruppenmensch bildet sein Wertesystem anhand seiner persönlichen Beziehungen innerhalb der Gruppe aus.
Wie es in der Masse eine jeweilige Massenideologie gibt, gibt es in der Gruppe eine jeweilige Gruppenideologie: Die einzelnen Gruppenmitglieder werden durch diese typischerweise erheblich intensiver gebunden und fühlen sich ihr wesentlich stärker verpflichtet als die Individuen in der labilen und schwankenden Masse. Aber eine einhellige Meinung muss in der Gruppe häufig erst mittels intensiver Diskussionen und emotionaler Auseinandersetzungen in einem langwierigen Gruppenprozess mühsam erarbeitet werden.

(1) Der Gruppenleiter:

Der Leiter der Gruppe steht in einer persönlichen gefühlsmäßigen Beziehung zu jedem einzelnen Gruppenmitglied. Er baut seine Führungsposition mittels dieser Bindungen aus. Er wird möglicherweise versuchen, gewisse Werte und Angelegenheiten, denen er sich verpflichtet fühlt, in der Gruppe durchzusetzen. Dafür muss er aber die anderen Mitglieder erst in persönlicher Überzeugungsarbeit gewinnen. Der Leiter kann versuchen, seine eigene Ideologie den Anderen dadurch überzustülpen, indem er innerhalb der Gruppe nur bestimmte Emotionen zulässt und andere nach außen lenkt. Vor allem in „geschlossenen Gruppen“, die keine neuen Mitglieder aufnimmt, ist dies möglich.

(2) Erstarrung von Werten durch das Überhandnehmen bestimmter einheitlicher „zwischenmenschlicher“ Gefühle innerhalb der Gruppe:

Oftmals sind in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit langwierige und intensive Streitgespräche innerhalb der Gruppe unumgänglich, in denen ausführlich debattiert wird, und die unterschiedlichen Ansichten ausgetauscht und aufeinander abgestimmt werden, bis sich endlich eine einhellige Gruppenmeinung entwickelt. Diese einhellige Meinung bildet sich vor allem dann aus, wenn der Gruppe von außerhalb Gefahr droht. Jetzt schließt sich die Gruppe nach außen hin ab. Sie wir zur „geschlossene Gruppe“. Die ursprünglich höchst unterschiedlichen emotionalen Beziehungen der einzelnen Gruppenmitglieder zueinander gleichen sich einander immer mehr an: das Zusammengehörigkeitsgefühl („Liebe“) übernimmt die Führung und Gefühle wie „Hass“ werden nach außen gegenüber Nicht-Gruppenmitgliedern gerichtet. Zwischen den einzelnen Mitgliedern herrscht nun dasselbe Gefühl vor. Sie sind jetzt untrennbar aneinander gebunden. Die Gruppe ist zusammengeschweißt. Unterschiedliche Gefühle werden nicht mehr zugelassen, da diese die Gruppe gegenüber dem Feind schwächen und sie so als solche gefährden. Genau so ist es mit unterschiedlichen Meinungen und Werten. Eine einheitliche Ideologie unter der Führung der „zwischenmenschlichen“ Gefühle bildet sich aus. Diese formt sich in Abgrenzung zur und als Alternative für die Ideologie des Feindes. Im Gegensatz zur Masse, wo die „sachbezogenen“ Gefühle von den „zwischenmenschlichen“ Gefühlen entkoppelt sind, werden in der Gruppe jetzt jene an diese geschweißt. Aber die Differenziertheit der „zwischenmenschlichen“ Gefühle ist ja verschwunden. Ihre Uniformität verhindert nun auch eine Differenziertheit der von ihnen gezügelten „sachbezogenen“ Gefühle.
Auf den Feind wird nicht mit heißblütiger, blinder „Wut“ eingeschlagen. Vielmehr wird er gezielt mit der eiskalten, glasklaren Überlegtheit des „Hasses“ bekämpft.
Wird eine Massenbewegung, die sich gegen etwas oder jemanden richtet, durch eine „Ideologie des blinden, flammenden, aber zugleich unsteten und kurzlebigen Zorns“ bewegt, so überlegt sich eine durch die „Ideologie des Hasses“ auf den Feind zusammengeschweißte Gruppe eine langfristige Strategie, um ihn endgültig zu vernichten.
Wenn eine Gruppe von innen durch eines ihrer Mitglieder in ihrem Bestand gefährdet wird, schließt sie sich gegen dieses ab. Begegneten ihm die anderen zuvor mit unterschiedlichen Gefühlen und Haltungen, die sich im Verlauf wahrscheinlich auch verändert haben, so richtet nun jedes Mitglied dasselbe Gefühl gegen es. Es wird aus der Gruppe ausgestoßen und von ihr verbannt, ja letztendlich gar „gehasst“. Waren seine unterschiedlichen Ansichten und sein Wertesystem zuvor respektiert und geachtet, so gilt seine Meinung nun nichts mehr. Im Gegenteil: die Gruppe versucht sogar eine einheitliche Gruppenideologie zu formieren, die möglichst im Gegensatz zur Meinung des nun außerhalb stehenden Abtrünnigen steht. Und diese Ideologie soll von nun an für immer ihren Bestand sichern.

(3) Gruppe und „Teil eines höheren Ganzen“:

Auch in einer Gruppe, vor allem in der „in sich geschlossenen Gruppe“, entsteht häufig das Gefühl „Teil eines höheren Ganzen sein“ zu sein, besonders dann, wenn die Gruppe der Meinung ist, dass sie eine besondere Mission habe, dass sie zu etwas besonderem auserwählt sei.
Aber wie im Massenerleben kann das Gruppenerleben immer nur das Erfahren einer unvollständigen Ganzheit sein, da ja auch hier eine Angelegenheit und ein Wert verabsolutiert, und alle anderen Werte und Angelegenheiten abgespalten und verachtet werden. Wenn innerhalb der Gruppe auch intensive unmittelbare persönliche Beziehung zwischen dem Einzelnen und den anderen Gruppenmitgliedern bestehen, so bleibt doch das Gefühl, Teil eines Besonderen - eben dieser besonderen Gruppe - zu sein. Beziehungen zu Menschen außerhalb der Gruppe werden vernachlässigt. Damit werden diese nicht als einzigartige Individuen, die sie ja alle in Wahrheit sind, in das „Ganze“ einbezogen.

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